
Carolina Maria de Jesus // Child of the Dark
Child of the Dark ist Carolina Maria de Jesus Tagebuch, in erster Linie aus dem Jahr 1958. Die Autorin lebte Jahrelang in den Favelas São Paulos – bis ihre Tagebücher veröffentlicht wurden.
- Darum lesen: authentischer Bericht aus den Favelas, Klassiker der brasilianischen Literatur
- Darum nicht lesen: recht einseitig und deprimierend
Child of the Dark fängt ganz unvermittelt an, am 15. Juli 1955. Es ist ein beliebiger Tag im Leben der Autorin, die sich im gesamten Buch nur Carolina nennt. Deprimierend, wie fast jeder andere. Das Buch endet am 1. Januar 1960, ebenso unvermittelt. Carolina berichtet ausführlich über das Jahr 1958, die Jahre 56 und 57 fehlen komplett.
„July 15, 1955 The birthday of my daughter Vera Eunice. I wanted to buy a pair of shoes for her, but the price of food keeps us from realizing our desires. Actually we are slaves to the cost of living. I found a pair of shoes in the garbage, washed them, and patched them for her to wear.“
Sie erzählt von ihrem Leben in den Favelas, wie sie sich und ihre drei Kinder irgendwie durchbringt und aus Verzweiflung und Leidenschaft jede freie Minute (derer es nicht viele gibt) mit Literatur, insbesondere mit eben diesem Tagebuch. Und das beeindruckt mich schon schwer. Wie oft jammere ich über meine ach so schwere Last. Muss mich dann unbedingt mit einem Bierchen vor die Glotze knallen und kann keineswegs mehr schöpferisch tätig werden.
„July 20 I got out of bed at 4 a.m. to write. I opened the door and gazed at the starry sky. When the sun started to climb I went for water. I was lucky! The women weren’t at the spigot.“
Hunger, Alkohol, Männer, Politik
Neben Carolina und ihren Kindern Vera, João und José Carlos geht es in erster Linie um Hunger. Carolina Maria de Jesus schildert im gesamten Buch, wie sie an Geld kommt (in erster Linie Papier und Metall aufsammeln und verkaufen) und was sie davon kauft (Brot, Reis, Bohnen hin und wieder Fleisch). Sie schildert ihre Träume von einem besseren Leben und das Leben, dem sie zu entfliehen versucht, das Leben in den Favelas São Paulos. Sie berichtet von den zankenden und tratschenden Frauen, den saufenden, faulen Männern, von den Partys und all den Affären und Beziehungen, zu denen sie selbst einige beiträgt. Ein letztes großes Thema sind Politiker, die allesamt lediglich leere Versprechungen machen und egal, wer an der Macht ist, für die Bewohner der Favelas ändert sich nichts.
„Oh, São Paulo! A queen that vainly shows her skyscrapers that aer her crown of gold. All dressed up in velvet and silk but with cheap stockings underneath – the favela.“
Hintergrund
Carolina Maria de Jesus Schreibstil ist relativ einfach und eliptisch. Sehr gut zu lesen, wenn auch teilweise etwas langatmig ob der mangelnden Abwechlung an Ereignissen in den Favelas. Verstärkt wird diser Eindruck in meiner Ausgabe durch engen Druck ohne jeden Absatz zwischen den Tagebucheinträgen. Trotz weniger Seiten viel Lesestoff. Bei mir entstan der Eindruck einer Atemlosigkeit und ich musste beim LEsen viele Pausen machen, um durchzuatmen.
Die Tagebücher wurden von Audálio Dantas überarbeitet und zusammengestellt. Oftmals vermuten Kritiker deswegen, dass es sich in Wirklichkeit um sein Werk handelt. Doch es existieren teilweise nicht überarbeitete Passagen dieses Tagebuchs und anderer Werke und diese zeigen, dass Dantas Carolinas Stimme lediglich etwas gezähmt und geglättet hat. Sie nimmt kein Blatt über den Mund, schimpft über unehrliche Politiker, saufende Männer und streitsüchtige Frauen – und diese Passagen wären im Original wohl noch etwas heftiger gewesen. Doch Child of the Dark ist ein authentischer Lebensbericht.
Während das Tagebuch an sich ein knapper Ausschnitt aus dem Leben der Autorin ist, wurde diese Ausgabe durch ein Vorwort des Übersetzers David St. Clair und ein Nachwort des Historikers Robert M. Levine ergänzt. Finde ich äußerst hilfreich, weil in diesen Texten Das Buch eingeordnet wird und Carolina Maria de Jesus Geschichte weitererzählt wird.
„My dream is to be very clean, to wear expensive clothes and live in a comfortable house, but it’s not possible. I am not unhappy with the work I do. I am used to being dirty. I’ve carried paper for eight years. What disgusts me is that I must live in a favela.“
Die Autorin
Und so erfahre ich, dass sie durch das Buch die Favelas verlassen konnte, ein Haus kaufte. Dass sie weitere Bücher veröffentlichte, aber nie wieder an den Erfolg ihrer Tagebücher anknüpfen konnte. Sie war großzügig und hilfsbereit, sie gab so viel von ihrem hart erarbeiteten Reichtum wieder her, dass sie ihr Haus verkaufen musste. Doch zurück in die Favelas ging sie nicht. Stattdessen verbrachte sie die restlichen Jahre ihres Lebens auf einem Stück Land außerhalb von São Paulo unter anderem als Selbstversorgerin.
Ich erfahre außerdem, dass Child of the Dark sowohl in Brasilien, als auch in den USA ein Klassiker ist. Während das Buch in den USA aber positiv rezipiert wird, steht es in Brasilien in der Kritik und zwar sowohl von links, als auch von rechts. Linke ärgerte, dass sie ausschließlich ihr eigenes Leid ansprach: Hunger und Armut. Sich aber nicht solidarisch zeigte, sich nicht für Landumverteilung oder Antimperialismus und auch nicht gegen Rassismus einsetzte. Rechte hielten sie für hochnäsig, für einen Emporkömmling, für eine Frau, die sich nicht mit ihrem Status zufrieden gibt, sich aber nicht standesgemäß benehmen kann. Sie kritisierten, dass sie sich in der Öffentlichkeit nicht benehmen könne, nicht ordentlich mit Messer und Gabel esse und einen schlechten Kleidungsgeschmack hätte.
Fazit
Child of the Dark ist ein in Deutschland kaum bekanntes und insofern sicherlich unterschätztes Buch. Ein wichtiges historisches Dokument und ein wertvoller Einblick in die Favelas der 50er-Jahre. Sprachlich leicht, thematisch schwer zu lesen.
Carolina Maria de Jesus // Child of the Dark / Quarto de Despejo
First Signet Classic Printing 2003 // 1960
Signet Classics // Libraria Francisco Alves
187 Seiten
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