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Eduard Engel // Deutsche Stilkunst

Engel war ein Liebhaber der deutschen Sprache. Und es scheint ihm richtiggehend körperliche Schmerzen bereitet zu haben, wenn sie aus den unterschiedlichsten Gründen verhunzt oder zumindest sorglos behandelt wurde. Deswegen schrieb er seinen Stilratgeber Deutsche Stilkunst, der zum Stilklassiker schlechthin wurde.

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  • Darum lesen: gibt nix besseres über den Stil der deutschen Sprache
  • Darum nicht lesen: auch wenns ein Klassiker ist, ist die Deutsche Stilkunst wohl nur für Fans der Sprache und Profis geeignet.
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Unter allen schreibenden Kulturvölkern sind die Deutschen das Volk mit der schlechtesten Prosa.“

Na, das ist ja mal eine steile These zum Einstieg, die allerdings weitgehend Behauptung bleibt. Aber es geht Engel auch gar nicht darum, diese These zu belegen. Er sieht sie als gegeben an und gut ist. Das Buch Deutsche Stilkunst ist Engels Beitrag, das zu ändern. Er erklärt die wichtigsten stilistischen Regeln, bringt unzählige Beispiele für guten und schlechten Stil und lässt sich hin und wieder zu einem richtigen Rant hinreißen, wenn es zum Beispiel um Fremdwörter in der Deutschen Sprach geht.

Engels Grundsätze für guten Stil

  • Den Leser im Blick haben.
  • Möglichst einfach und verständlich schreiben.
  • Mit Leidenschaft schreiben.
  • Die Wahrheit sagen.
  • Möglichst nah an der wörtlichen Rede bleiben.
  • Regeln brechen.

Das klingt überraschend untechnisch und zunächst auch nicht unbedingt zielführend. Einige dieser Punkte kann man schließlich bestens erfüllen, und dennoch miesen Stil schreiben. Wer leidenschaftlich die Wahrheit sagt, beispielsweise. Diese Grundsätze zeigen aber, dass es Eduard Engel nicht einfach darum geht, starre Regeln aufzustellen, sondern um gute Texte.Wie man dieses Ziel erreicht, ist letztendlich egal. Stil kann auch nichts sein, was über einen längeren Zeitraum hinweg gleich bleibt, denn Sprache, insbesondere die gesprochene ändert sich.

Kann also ein Buch von 1911 überhauot etwas zu gutem Stil im 21. Jahrhundert beitragen? Ja, kann es. Diese Grundsätze beispielsweise, die auch heute noch zu gutem Stil führen können, auch, wenn das Ergebnis heute ein anderes ist, als vor 100 Jahren.

„Sorgsame Rücksicht auf den Leser ist eine der Urbedingungen des guten Stils.“

Verständlichkeit als Königsdisziplin

Guter Stil ist, wenn der Leser den Text versteht. Und das ist dann der Fall, wenn möglichst klar und einfach geschrieben wurde und Absicht, Inhalt und gewählte Worte übereinstimmen. Es kann nicht die Aufgabe des Lesers sein, herauszufinden, was der Autor schreiben wollte. Der Autor muss alles daran legen, so zu schreiben, dass er möglichst gut verstanden werden kann. Das heißt:

  • Wörter sorgfältig wählen,
  • keine Fremdwörter verwenden
  • einen einfachen Satzbau wählen, solange dieser im Dienst der Lesbarkeit steht.
  • Und freilich sollte der Autor gewisse Regeln beherrschen. Allein deshalb, weil Fehler für Missverständnisse sorgen und denjenigen, dem die Fehler auffallen, vom Lesen abhalten.

„Ohne eine saubere Sprache gibt es keine Stilkunst, wie es keinen Malkünstler gibt, der nicht zeichnen kann, keinen Tonmeister, dem die Gesetze der Harmonie fremd sind.“

Das klingt zunächst nach einfacher Sprache. Nach langweiliger Sprache. Aber langweilig darfs nicht werden, denn das hindert den Leser letztendlich nur wieder daran, den Text zu lesen. Auch repetitiv darfs nicht werden, denn ein immer gleicher Satzbau mit immer gleicher Satzmelodie langweilt den Leser ebenfalls. Der Autor muss also mit der Sprache spielen um eine Abfolge von Wörtern zu finden, die einersetzs genau das ausdrücken, was der Autpr sagen wollte und zwar so, dass es der Leser versteht; die andererseits angenehm und lesen ist.

Dabei ist Engel überigens absolut kein Fan von Synonymen. Anders ausgedrückt: er glaubt nicht an ihre Existenz. Die Kombination aus Bedeutung und Klangfarbe passt seiner Meinung nach zu genau einem Wort, kein zweites würde genauso gut passen. Es ist also wahrscheinlich die größte Aufgabe eines Autors, dieses Wort zu finden.

„Bis zur durchsichtigsten Klarheit muss der verarbeitete Gedanke geläutert sein, ehe das Eigenwort, das einzig treffende, aus dem dunkelwogenden Meer des Sprachschatzes hell im Schreiber emportaucht.“

Zum Inhaltsverzeichnis

Um jetzt nicht den Eindruck zu erwecken, es handele sich beim der Deutschen Stilkunst um fast 500 Seiten leeres Gelaber, hier das Inhaltsverzeichnis:

  1. Grundfragen (z.B. persönlicher Stil)
  2. Die deutsche Sprache (v.a. Grammatik)
  3. Der Ausdruck (Wortschatz]
  4. Fremdwörteri I und II
  5. Der Satz (Rhythmus, Harmonie, …)
  6. Der Aufbau (roter Faden, Übergänge)
  7. Der Ton (Humor, Schlichtheit, Übertreibungen)
  8. Die Schönheit (Stilmittel, sprachlicher Schmuck)
  9. Stilgattungen (z.B. Zeitungsstil)

Das ist sauber aufgebaut alles, was ein Schreiberling wissen und können muss, um guten Stil zu produzieren. Das alles zeigt Engel anhand von zahlreichen positiven und negativen Beispielen. Besonders lieb sind ihm beispielsweise Goethe, Schiller, Lessing oder Luther. Meine Ausgabe von 1911 wird übrigens aufgelockert durch den Abdruck 18 originaler Handschriften von ebenjenen und anderen Sprachmeistern.

„Nicht der Schreiber wählt Ton und Stil, der Gegenstand zwingt sie ihm auf.“

Plagiatsaffäre

Es gibt übrigens einen zweiten großen Klassiker zum Stil deutscher Sprache: Ludwig Reiners veröffentlichte 1944 ein Werk mit dem kreativen Namen Deutsche Stilkunst. Allerdings handelt es sich dabei nach Auffassung zweier wichtiger Sprach- und Literaturwissenschaftler um ein Plagiat. Mehr Infos in Stefan Stirnemanns Artikel Ein Betrüger als Klassiker.

Eduard Engel // Deutsche Stilkunst
7. Auflage 1911
Verlag G. Freytag (heute in zwei Bänden bei der Anderen Bibliothek)
476 Seiten

Weitere Buchbesprechungen

(beide Rezensionen beziehen sich auf die Ausgabe der anderen Bibliothek.)

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