der richter und sein henker
Fiktion,  lesen

Friedrich Dürrenmatt // Der Richter und sein Henker

Der Richter und sein Henker ist ein typischer Krimi, ziemlich kurz und am Ende ist doch alles ganz anders. Liest sich gut, überrascht und überzeugt durch genau die richtige Länge.

  • Darum lesen: Klassischer Krimistoff, gleichzeitig kritische Auseinandersetzung mit dem Krimi.
  • Darum nicht lesen: Manch einem sicherlich zu klassisch und damit zu langweilig.

Auf nur etwas weniger als 100 Seiten stirbt ein Polizist und zwei weitere suchen und finden seinen Mörder. Es gibt ein politisches Komplott, eine persönliche Fehde und überraschende Wendungen. Das heißt; die Geschichte ist äußerst dicht erzählt. Wüsste nicht, was man hier sinnvollerweise noch weglassen sollte. Dennoch ist alles gesagt. Manch ein Bestsellerautor hätte diesen Krimi künstlich in die Länge gezogen – und damit schlechter gemacht.

Dürrenmatts Krimis sind nicht nur Krimis sondern auch Kritik am Genre. Zum Erfolg führen letztendlich Nicht-Methoden, falsche Ansätze. Kommisar Bärlach scheint keine Ahnung von modernen Ermittlungsmethoden zu haben. Er verlässt sich in erster Linie auf seinen Instinkt und verhält sich letztendlich selbst moralisch nicht ganz sauber. Anders ist dem Mörder allerdings nicht beizukommen. Gerade durch diese moralische Schwäche erspielt sich Bärlach einen Vorteil, denn sein Gegner hält ihn für einen Polizisten, der nach den Regeln spielt.

Übrigens: mit Deutschland, dem Land der Dichter und Denker scheint das Buch trotz der gereimten Nähe nichts zu tun zu haben.

Die Wette

Diese Thematik spielt auch in Dürrenmatts Kriminalromanen Verdacht und Versprechen eine Rolle. Im Richter und sein Henker wird sie im Gespräch zwischen Gastmann und Bärlach sauber ausformuliert: Ermöglicht die menschliche Unvollkommenheit und die Verworrenheit menschlicher Beziehungen nun eher das Verbrechen oder eher die Aufklärung desselben?

„Ein Verbrechen zu begehen nanntest du eine Dummheit, weil es unmöglich sei, mit Menschen wie mit Schachfiguren zu operieren. Ich dagegen stellte die These auf, mehr, um zu widersprechen, als überzeugt, daß gerade die Verworrenheit der menschlichen Beziehungen es möglich mache, Verbrechen zu begehen, die nicht erkannt werden könnten, daß aus diesem Grund die überaus größte Anzahl der Verbrechen nicht nur ungeahndet, sondern auch ungeahnt seien, als nur im Verborgenen geschehen.“

Bärlach ist eigentlich ein Verfechter der Ordnung, letztendlich muss seiner Meinung nach das Verbrechen mit seiner Unvollkommenheit unterliegen. In Richter und Henker muss er am Ende aber gerade dadurch, wie er den Mordfall löst (und die Wette gewinnt), indirekt zugeben, dass Gastman recht gehabt hat. Nicht die Ordnung hat gesiegt, sondern das Chaos, das sich als ordnendes Gesetz verkleidet hat.

Was mir nicht so gut gefällt

Trotz der Dichte, der subtilen Kritik, der perfekten Länge gibt es einiges, was mir an Der Richter und sein Henker nicht so gut gefällt. Insbesondere Berlächs Plan offenbart zu viele Zufälle. Allein der Wachhund, der Bärlach anfällt, wie erhofft. Hätte der Hund stattdessen Tschanz angefallen, wäre der Plan nicht aufgegangen. Sowas stört mich immer, auch wenn sich diese Zufälle beim Lesen nicht unbedingt aufdrängen.

Nicht nur der Plot und der Erzähltext ist radikal gekürzt. Auch der Stil ist knapp, meines Erachtens zu knapp. Oft ist nicht ganz klar, von wem gerade die Rede ist, weil Dürrenmatt selbst die Namen seine Figuren so selten wie möglich einsetzt.

Und ein letzter Punkt: Die Dialoge dienen oftmals eher dem Erzähler als Vehikel. Dabei geht jeglicher Realismus verloren. Da soll eine Figur halt einen bestimmten Sachverhalt äußern und das tut sie dann so, wie es zur Intention des Erzählers passt und nicht unbedingt, wie Menschen wirklich sprechen.

Inhaltsangabe

Der Dorfpolizist Clenin entdeckt die Leiche des Polizeileutnants Ulrich Schmied aus Bern. Er wurde in seinem Wagen erschossen, auf dem Weg zwischen den Orten Lamboing und Twann. Kommissar Bärlach, der moderne Polizeimethoden ablehnt, kurz vor dem Ruhestand steht und todkrank ist, wird mit der Ermittlung beauftragt. Gleich als erstes besucht er Frau Schönler, die Vermieterin Schmieds, die er allerdings nicht mit dem Tod Schmieds konfrontiert. Bärlach nimmt eine Mappe mit Unterlagen mit, über deren Inhalt der Leser nichts erfährt.

Bärlachs Vorgesetzter Doktor Lucius Lutz stellt Bärlach den jungen Polizisten Tschanz zur Seite. Den Tatort besichtigt Bärlach jedoch ohne seinen neuen Partner, lässt ihn sich stattdessen von Clenin und seinem Kollegen Blatter zeigen. Bärkach findet eine Revolverkugel.

Tschanz hat sich in der Zwischenzeit die Akten und auch die Leiche angesehen. Die Fakten sind Bärlach komplett unbekannt. Bärlach erzählt von seinem Verdacht, allerdings ohne konkrete Hintergründe. Die Unterlagen, die er aus Schmieds Unterkunft mitnahm, verschweigt er. Tschanz und Bärlach einigen sich darauf, dass Tschanz die hauptsächlichen Untersuchungen leiten wird.

Am Todestag hatte Schmied eine regelmäßige Verabredung, die er in seinem Kalender lediglich mit einem „G“ markierte. Dieser Spur wollen Tschanz und Bärlach folgen. Tschanz holt Bärlach zuhause ab, der Kommissar schläft, Tschanz findet keine Klingel, die Wohnungstür ist allerdings offen. Bärlach erwähnt Tschanz gegenüber seine Krankheit.

Tschanz befragt zunächst einige Tankstellenbetreiber, die sich an einem eher ungewöhnlichen Weg nach Lamboing befinden und tatsächlich kann sich einer der Betreiber an Schmieds Wagen erinnern. Die beiden Ermittler bleiben auf diesem Weg und legen sich auf die Lauer. Als einige Limousinen vorbeifahren, folgen sie diesen. Die Autos fahren zu einem abgelegenen Grundstück, an dessem Tor sich ein „G“ befindet. Tschanz weiß bereits, dass das Anwesen einem Herrn Gastmann gehören muss, da in Lamboing keine weiterem Personen mit „G“ leben.

Tschanz und Bärlach schleichen um das Anwesen herum und werden von einem Hund angefallen. Tschanz erschießt das Tier und rettet dadurch Bärlach – macht aber auch die Gesellschaft Gastmanns auf sie aufmerksam. Insbesondere Nationalrat und Oberst von Schwendi, Gastmanns Anwalt stellt die Beiden zur Rede, zu Gastmann lässt er sie nicht. Auch eine Befragung im Mordfall Schmied lässt er nicht zu, an seiner statt erklärt er aber sich selbst dazu bereit, einige Fragen zu beantworten.

Während Tschanz noch einmal mit den örtlichen Polizisten reden möchte, geht Bärlach in eine Gastwirtschaft, in der er sich für später mit Tschanz verabredet. Als Tschanz dort ankommt, ist Bärlach nicht da. Tschanz macht sich allein auf den Heimweg, doch auf dem Weg zwischen Lamboing und Twann lauert ihm eine dunkle Gestalt auf. Es ist Bärlach, der damit den Mord an Schmied nachgestellt hat.

Nationalrat von Schwendi wendet sich am nächsten Tag an Lutz. Doch anstatt etwas zu den Ermittlungen beizutragen, dreht er den Spieß um. Schmied habe unter dem Namen Doktor Prantl an Gastmanns Gesellschaften teilgenommen, bei denen wichtige globale Politik und Wirtschaft besprochen wurde. Von Schwendi würft der Schmied Spionage vor – in diese Richtung soll die Polizei ermitteln und Gastmann mit dem Mordfall in Ruhe lassen.

Bärlach und Lutz besuchen die Beerdigung Schmieds. Die Trauerfeier wird von zwei betrunkenen Männern gestört, grobschlächtige Männer, groß und muskulös. Sie legen einen Kranz ab, auf dem „Unserem lieben Doktor Prantl“ steht. Der Kranz muss also von Gastmann kommen.

Als Bärlach nach Hause kommt, wartet dort Gastmann auf ihn. Die beiden kennen sich und sprechen über ihre gemeinsame Vergangenheit: vor Jahren schlossen sie eine Wette ab, die Bärlach nur gewinnen kann, wenn er Gastmann eines Verbrechens überführen kann. Gastmann verabschiedet sich siegessicher, ob der Krankheit Bärlachs – und nimmt die Unterlagen Schmieds mit.

Lutz teilt Bärlach mit, Gastmann sei wohl kaum ein lohnendes Ziel für Ermittlungen im Mordfall Schmied. Stattdessen treffen sich Tschanz – der sich inzwischen Schmieds alten Wagen gekauft hat – und Bärlach mit einem Schriftsteller, der ebenfalls an Gastmanns Gesellschaften teilnahm. Der bestätigt, dass Gastmann unmöglich der Mörder sein kann. Doch Tschanz will nicht locker lassen und verdächtigt weiterhin Gastmann. Bärlach dagegen zeigt sich von den Indizien, die gegen Gastmann als Mörder sprechen, überzeugt.

Bärlach erkundigt sich nach Tschanz letztem Urlaubsort und will dort ebenfalls hin, um sich etwas zu erholen. In der Nacht wird Bärlach in seiner Wohnung überfallen, entgeht dem Mordanschlag aber. Er ruft Tschanz zu Hilfe, der noch im Pyjama und mit Mantel bekleidet vorbeikommt.

Am nächsten Morgen macht sich Bärlach auf dem Weg zum Bahnhof und ruft sich ein Taxi. Darin sitzt allerdings Gastmann und droht, Bärlach zu töten, sollte der nicht lockerlassen. Bärlach erwidert, er habe längst gerichtet, sogar der Henker sei schon unterwegs.

Tschanz wiederum will Gastmann festnehmen. Einer von Gastmanns Männern schießt auf Tschanz, der erschießt Gastmann und seine beiden Leibwächter. Lutz und von Schwendi stellen fest, dass Schmied privat gegen Gastmann ermittelte und dann von diesem ermordet wurde.

Bärlach trifft sich ein letztes Mal mit Tschanz, tut dann so, als sei er gar nicht krank, um Tschanz aus der Reserve zu locken. Bärlach vermutete von Anfang an, dass Tschanz Schmieds Mörder sei. Das Motiv: Tschanz stand in Schmieds Schatten und wollte ihn aus dem Weg räumen, dabei auch noch von dessen Ermittlungen gegen Gastmann profitieren. Bärlach wiederum benutzte Tschanz, spielte mit ihm, sodass der letztendlich Gastmann erschoss. Bärlach ist der Richter, Tschanz der Henker.

Bärlach versicherte Tschanz, ihn nicht zu verraten. Aber Tschanz solle verschwinden, denn Bärlach wolle kein zweites Mal richten müssen. Tschanz nimmt sich daraufhin das Leben, Bärlach lässt sich auf seine Operation ein.

Meine Ausgabe

Das Buch erschien zunächst in acht Teilen im Schweizerischen Beobachter, später erst in Buchform. Ich habe meine Ausgabe in einem öffentlichen Bücherschrank gefunden. Es handelt sich wohl um die Schulausgabe irgendeiner Achtklässlerin. Neben den gedruckten Skizzen zur Handlung finden sich also allerhand handschriftliche Schmierereien, angefertigt einerseits, um Langeweile zu vertreiben, andererseits um das Buch zu gliedern und zu verstehen. Ich mag sowas ja.

der richter und sein henker, vollgekritzelte seiten
der richter und sein henker, illustration

Zum Autor

Friedrich Dürrenmatt wollte eigentlich Kunstmaler werden. Ließ er dann aber bleiben, obwohl er sein Leben lang gerne zeichnete und malte (die Illustrationen im Buch stammen dennoch nicht aus seiner Feder). Stattdessen studierte er unter anderem Philosophie. Dann wollte er wieder was, nämlich dissertieren, zu Kierkegaard. Ließ er aber bleiben und wurde stattdessen Schriftsteller. Er schrieb fürs Theater, Hörstücke, veröffentliche Reihenromane in Zeitschriften. Der Besuch der alten Dame ist sein wichtigstes Werk. Dürrenmatt war übrigens gut bekannt mit Max Frisch. Und hier noch ein Blick in sein Arbeitszimmer. Abgefahren groß:

Friedrich Dürrenmatt in seinem Arbeitszimmer, im Gespräch mit Eugène Ionesco
Foto: Jack Metzger, Comet Photo AG // Aus der ETH-Bibliothek. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Zum Abschluss noch ein Zitat über Schriftsteller:

„Schriftsteller sind immer dubios, aber ich komme diesen Übergebildeten schon bei.“

Tschanz

Friedrich Dürrenmatt
Der Richter und sein Henker
Taschenbuchausgabe 1985 // 1950
Rowohlt // Diogenes

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