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Fiktion,  lesen

Lew Tolstoj // Sämtliche Erzählungen

Ach, was soll ich zu Tolstoj schon sagen? Er hats halt drauf. Nur hat man an seinen großen Werken ordentlich zu knabbern. Seine Erzählungen sind nicht weniger gut – aber handlicher portioniert.

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  • darum lesen: großartige Geschichten, Einblick in russische Kultur, Tolstoj in kurz
  • darum nicht lesen: Tolstoj ist so detailverliebt – selbst in aller Kürze wirds manchmal langatmig, arg platzsparender Schriftsatz
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Wer einfach nur die wichtigsten Werke von Tolstoj oder der russischen Literatur lesen will, nimmt Anna Karenina oder Krieg und Frieden. Finden sich in jedem Literaturkanon. Tolstojs Erzählungen sind zwar weniger bekannt, aber keineswegs schlechter. Im Gegenteil. Der Insel Verlag hat sie gesammelt und in fünf Bänden Herausgegeben. Die Bücher stecken in einem Schuber – und das mag ich. Was ich dagegen nicht mag: die restliche Ausstattung. Die Bände hätten etwas umfangreichere Hintergrundtexte vertragen, ein paar Seiten bibliographische Notizen gibt es. Aus denen erfahre ich immerhin, dass bspw. Luzern auf einem Erlebnis beruht, dass Tolstoj in Luzern widerfahren ist. Außerdem hätten die Texte deutlich mehr Platz vertragen. Immerwieder wurden die Zeilen so eng gesetzt, dass die Leerzeichen komplett verschwunden sind.

Die Texte wurden so zusammengestellt, dass die fünf Bände ähnlich lang sind. Es gibt also weder einen chronologischen, noch einen inneren Zusammenhang – zumindest keinen, der nicht ohnehin Tolstojs Werk umspannen würde. Der Krieg ist immer wieder Thema, die Liebe, Selbstaufopferung, die Heilsamkeit des Landlebens, Demut und der einfache Lebensstil. Tolstojs Gesellschafts- und Frauenbild ist teilweise schwer zu ertragen – es ist halt geprägt durch seine Zeit und im Zweifel muss man die Aussagen als historisches Dokument und als die Ansichten des Autors einfach mal stehenlassen.

Band 1 las ich vor einiger Zeit, nun eben Band 2, bis ich durch bin, werden einige Jahrzente ins Land ziehen. Hier ein paar Sätze zu den Erzählungen, die mir besonders gut gefallen haben.

Der Morgen eines Gutsbesitzers

Ein junger Idealist beschließt, beste Zukunftsaussichten fahren zu lassen, Gutsbesitzer zu werden und der Landbevölkerung zu helfen. Die Geschichte folgt ihm fast reportagemäßig durch seinen Arbeitsalltag und berichtet anhand vierer Begegnungen über den zustand der bäuerlichen Landbevölkerung. Da gibt es die arme, demütige Familie, von Pech verfolgt, aber zu Stolz, um Hilfe anzunehmen. Es gibt den faulen Bauern, der sich mithilfe kleinerer Verbrechen ein relativ gutes Leben leistet. Es gibt den faulen, gutherzigen Bauern, der sich zurechtweisen und schlagen lässt – aber nicht in der Lage ist, sich und seine Situation zu ändern. Und es gibt den reichen Bauern, gesegnet mit kräftigen Söhnen, die ordentlich mit anpaclken und wiederum gut geheiratet haben und auch noch kräftige Frauen in den Haushalt geholt haben.

Albert

Das großartig traurige Porträt eines genialen Musikers, der langsam an sich selbst und der Gesellschaft zerbricht. Passt recht gut zu Luzern, wo es ebenfalls um einen Musiker geht. Aber Albert ist viel intensicver erzählt, stellenweise fast psychedelisch.

Drei Tote

Eine intensive, dichte Kurzgeschichte. Wäre sie ein Film, wäre es eine Mischung aus einem Jim-Jarmusch-Film, einem von Quentin Tarantino (ohne die Actionszenen) und von den Cohen-Brüdern. Düster, langsam, rätselhaft – undimmer in Bewegung.

So sehr ich Tolstoj schätze – jetzt brauche ich erstmal eine Pause.

Lew N. Tolstoj // Sämtliche Erzählungen
Erste Sammelband-Auflage, 1990 // 1961 // ~ 1860
Insel
Band 1: 446 Seiten
Band 2: 478 Seiten

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