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Marek und der Zauberer

Marek machte sich auf den Weg. In den Straßen duftete es nach Popcorn, gebrannten Mandeln und heißer Schokolade. Als er an der Kirche vorbeilief, hörte er bereits Gelächter, Musik und das Rattern der Achterbahnen. Aber erst, als er um die Ecke des letzten Hauses gebogen war, sah er das bunte Treiben.

Zwischen den Holzbuden hingen Girlanden mit Lampions. Luftballons strebten gen Himmel, nur mit einer Schnur ans Irdische gebunden. Papierdrachen ließen ihr bunten Schwänze bis fast auf den Boden baumeln. Stabhochläufer stolzierten durch die Menschenmenge, als lilafarbenes Zebra, Clown oder nicht weiter definierbares Fabelwesen verkleidet. Da brannte ein Lagerfeuer und um es herum tanzten Kinder. Ein Gaukler mit roten Hosen jonglierte mit Bällen und Keulen. Auf einer niedrigen Holzbühne stand ein Mann und spielte Ziehharmonika. Sein Hund stand mit den Hinterbeinen auf seiner Schulter und mit den Vorderbeinen auf dem Instrument, streckte und beugte sich im Takt und jaulte leise zur Musik.

Es schien, als ob das ganze Dorf war hier versammelt wäre. Marek sah einen Jungen, kaum älter als er selbst, der mit einer kleinen Ziege Kunststücke aufführte. Der Junge hatte nur noch ein Bein und statt des zweiten eine Prothese aus dunklem Metall. Und auch der Ziege fehlte ein Bein, das durch ein Stück Metall ersetzt war. Jetzt machte der Junge einen Handstand – und die Ziege machte es ihm nach. Aus der Beinprothese schoss plötzlich ein Feuerball aus roten Tüchern hervor. Die Menschen johlten, der Junge verbeugte sich, streichelte seinen Hund und klatschte dann mit einem freundlich dreinblickenden Mann ab – der ebenfalls rot-weiß-gestreifte Hosen trug – aber ohne Prothese unterwegs war.

Marek traf ein paar Jungs aus der Nachbarschaft und schoss mit ihnen an einer Bude auf Büchsen. Sie zogen weiter und fuhren mit der Holzbahn, die in steilen Kurven einen Abhang hinunter raste. Marek hatte keine Lust, Kettenkarussell zu fahren und zog wieder alleine weiter. Er gelangte auf eine größere, vielleicht fünf Meter breite Fläche, die sich wie eine Straße durch die Buden und Attraktionen erstreckte und zu einem großen, schwarzen Zelt führte, das auf einem Hügel über dem Jahrmarkt thronte. Links und rechts der Straße standen in regelmäßigen Abständen abwechselnd Fackeln und hölzerne Figuren mit Flügeln auf Podesten: Da war ein Mensch, ein Stier, ein Löwe und ein Adler. Zwischen den Podesten waren in unregelmäßigen Abständen Holzstäbe in den Boden gerammt, an denen hoch über den Köpfen der Menschen bunte Stoffbänder im Wind wehten. Je näher Marek dem Zelt kam, desto leerer wurde die Straße. Sie führte zu einer Art Torbogen aus Blüten, der wohl den Eingang zum Zelt markierte.

Da trat ein Mann mit schwarzem, gezwirbeltem Schnurrbart aus dem Zelt heraus. Er war groß und ganz in schwarz gekleidet. Er trug einen Zylinder und einen Umhang, der im Sonnenlicht glitzerte. Er richtet sich auf, stemmte die Hände in die Seiten und blickte sich zufrieden um. Dann sah er Marek und Marek fühlte sich ertappt und wollte schon umdrehen. Aber der Mann lächelte freundlich und winkte Marek zu sich. Zögernd folgte Marek dem Ruf.

„Hallo Marek“, sagte der Mann.

„Hallo, woher wissen Sie, wie ich heiße?“

„Ich kenne jeden, der hier ist“, erwiderte der Mann. „Weißt du auch, wer ich bin?“

„Ein Zauberer?“

Der Zauberer kniete sich mit einem Bein auf den Boden, um Marek besser ansehen zu können. „Sowas ähnliches. Das alles gehört mir“, sagte er und deute über das bunter Treiben.

„Ihnen?“

„Ja, das ist mein Vergnügungspark, gefällt er dir?“

„Oh ja.“

„Was gefällt dir am besten?“

„Ich habe noch nicht alles ausprobiert. Aber die Holzbahn war wirklich toll.“

„Ja, damit fahre ich auch sehr gerne. Hast du schon von den gebrannten Mandeln gekostet?“ Er zog eine Tüte aus der Tasche und steckte sich eine Mandel in den Mund.

„Nein“

„Hier, nimm ein paar“, sagte er kauend.

Marek schüttelte den Kopf. „Und was ist in dem Zelt?“

„das Allerbeste“, sagte der Zauberer und zwinkerte mit einem Auge. „Meine Zaubervorführung.“

„Also sind Sie doch ein Zauberer?“

„Ja, sowas ähnliches.“

„Wann findet die Aufführung statt?

„Das wirst du schon sehen.“ Der Zauberer stand auf.“ Ich werde jetzt ein bisschen spazieren gehen. Viel Spaß.“

„Danke.“

Marek blickt dem Zauberer hinterher und als der im Treiben verschwunden war, machte sich Marek auf die Suche nach seinen Freunden.

***

Am nächsten Tag ging Marek wieder zum Jahrmarkt. Er probierte eine große Rutsche aus und kaufte sich ein paar gebrannte Mandeln. Als er am Kettenkarussell vorbeikam, sah er den schwarzen Mann darin sitzen. Er lachte laut und jauchzte vor Vergnügen. Marek erinnerte sich an die Zauberaufführung und ging zu dem Mann, der das Kettenkarussell bediente.

„Hallo, wissen Sie, wann der Zauberer seine große Aufführung hat?“

„Du meinst in dem großen Zelt? Heute Abend, hast du die Plakate nicht gesehen? Das solltest du dir nicht entgehen lassen.“

Is war noch lange nicht Abend und Marek schlenderte über den Jahrmarkt. Jetzt erst bemerkte er die Plakate, die auf die Zaubershow aufmerksam machten. Und dort im Matsch lagen ein paar Flyer. Er hob einen davon auf und als er eine Schulkameradin traf, fragte er sie, ob er sie begleiten wolle. Aber sie lehnte dankend ab. Als es Zeit war, zum Zelt zu gehen, hatte er mehrere seiner Freunde eingeladen, aber keiner wollte mitkommen. Also ging Marek alleine. Genau wie am vorherigen Tag, kümmerte sich niemand um das Zelt. Niemand wollte die Zauberaufführung sehen. Der freundliche Zauberer tat Marek ein bisschen leid. Vorsichtig schob er den Stoff beiseite und sah in das Zelt hinein. Es war stockdunkel. Marek blickte zurück ins bunte Treiben des Jahrmarktes. Dann betrat er das Zelt.

„Marek. Marek.“

„Ja.“

„Schön, dass du gekommen bist. Ich freue mich über dich.“

„Sind Sie der Zauberer? Wo sind Sie? Und wo sind alle anderen?“

„Ich bin bei dir, Marek. Mach dir um die anderen keine Sorgen. Ich freue mich, dass du da bist. Ich möchte dir etwas zeigen.“

Langsam gewöhnte sich Marek an die Dunkelheit. Der Boden war mit Stroh bedeckt. Sonst konnte er nichts sehen, nicht einmal die Seitenwand oder die Decke des Zeltes.

„Gleich da vorne, Marek.“

Marek lief ein paar Schritte. Und dort lag ein Pfeil und ein Bogen auf dem Boden.

„Er gehört dir. Willst du ihn nicht ausprobieren? Wenn du triffst, darfst du meine Zaubershow besuchen.“

Marek legte den Pfeil an den Bogen. „Worauf soll ich denn schießen?“

Der Zaubrer antwortete nicht. Marek lief noch etwas durch den Raum. „Hallo? Sind Sie da?“ Dann legte er den Pfeil an und zielte in die Dunkelheit. Er zielte dorthin, wo er die Mitte des Zeltes vermutete, spannte den Bogen und ließ den Pfeil fliegen.

„Schade, daneben“, sagte der Zauberer. „Versuch es gleich nochmal.“

Marek sammelte seinen Pfeil auf und als er sich wieder aufrichtete, sah er eine Zielscheibe.

„Versuchs nochmal“, sagte der Zauberer erneut.

Marek legte den Pfeil an und zielte. Die Zielscheibe war sehr weit weg. Er überlegte sich, ob er vielleicht ein paar Schritte nach vorne machen dürfe. „Nur zu“, sagte der Zauberer und lachte ein bisschen. Marek konzentrierte sich, hielt den Atem an und schoss. Der Pfeil flog vielversprechend, prallte aber von der Zielscheibe ab.

„Wow, guter Schuss“, jubelte der Zauberer. „Aber probiers doch noch einmal. Beim nächsten Mal klappt es bestimmt.“

Marek probierte es noch ein paar Mal, aber er hatte keine Chance, das Ziel zu treffen.

Marek probierte es ein letztes Mal, zielte genau, hielt die Luft an … aber auch dieses Mal prallte der Pfeil von der Zielscheibe ab. Marek ließ den Bogen sinken und drehte sich enttäuscht um, um den Ausgang des Zeltes zu finden.

„Marek? Wo willst du hin?“

„Ich habe doch nicht getroffen.“

„Bist du sicher?“

Marek sah sich zur Zielscheibe um. Genau in der Mitte steckte ein Pfeil. Aber hatte doch danebengeschossen. Sein Pfeil lag auf dem Boden. Marek sah sich um. Aber es war niemand da, der den Pfeil hätte geschossen haben können.

„Von wem ist der Pfeil? Das ist nicht meiner.“

„Ich weiß. Aber du kannst ihn für dich beanspruchen, wenn du magst.“

„Wer hat ihn geschossen?“

„Ich. Ich habe das Ziel für dich getroffen. Wenn du willst, kannst bei meiner Show zusehen.“

Marek überlegte kurz und nickte dann.

Da öffnete sich in der Dunkelheit hinter der Zielscheine die Zeltwand, Licht viel in den Raum. Und dort stand der Zauberer und lachte.

„Du hast den Hauptpreis gewonnen. Willkommen in meiner Zaubershow. Ich bin froh, dass du den Pfeil genommen hast. Viele kommen hier her und verlieren die Lust. Andere sind zu stolz und wollen es selbst schaffen. Andere können den Pfeil nicht akzeptieren und gehen wieder. Aber du bist hier.“

Der Zauberer führte Marek durch die Öffnung ins Freie. Dort war eine Bühne aufgebaut und die Zuschauerbänke waren voll mit Menschen. Marek setzte sich zu ihnen. Und dann fing die Zaubershow an.

[hoot_box type=“info“]Titelbild: Plush Design Studio / Unsplash[/hoot_box]

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